«Bei der Gefahrenrisikoabschätzung bezüglich Gletscherschwund ist es ganz wichtig, dass man die Gebiete unterhalb des Gletschers miteinbezieht. Denn die Menschen in diesem Gebiet gehen davon aus, dass sie dort sicher leben können.» Mit diesem eindrücklichen Plädoyer für die Beachtung der gesamten Prozesskette vom Gletscher bis ins Flachland bei schwindenden Gletschern, beendete Prof. em. Wilfried Haeberli, Universität Zürich, die spannende Einführung in die zweite Vorabendveranstaltung zu den Themen Gletscher, Permafrost/Wassermanagement, Rutschung, Steinschlag und Bergsturz. Danach zogen sich die Teilnehmenden zu drei Workshops zurück.
In der «Gruppe Gletscher» war man sich schnell einig, dass der Gletscher auf dem Titlis nur marginalen Einfluss auf den Wasserhaushalt der unteren Gebiete habe. Auf Wunsch der Teilnehmenden wurde der Fokus auf drei Ereignisse gelegt: Die Auswirkungen von Starkregen, bei denen beispielsweise im vergangenen Juli das Engelbergertal nur knapp von einem Hochwasser verschont blieb. Als zweites wurden die Folgen des – vor allem in Engelberg mehrheitlich ausländischen Massentourismus – auf die Landschaft und das Landschaftsbild thematisiert. Und als Drittes wurde die Wasserversorgung in diesem Gebiet unter die Lupe genommen.
In der «Gruppe Permafrost/Wassermanagement» wurde länger über den Permafrost sowie die grundsätzlichen Auswirkungen der Klimaerwärmung in der Schweiz auf die Erdoberfläche in Höhen über 2’500 M.ü.M. debattiert. Über das Titlis-Gebiet lägen Daten vor, und die Verantwortlichen hätten die Situation im Griff. Im übrigen Gebiet gebe es bisher keine gesicherten Daten, die auf Bohrungen basierten.
Beim grossen und kleinen Spannort verorteten die Teilnehmenden starke Erosionen unterhalb des Gletschers und im Gebiet Oberrickenbach frässen sich die Flanken des Sulzgrabens immer weiter in den Berg hinein. Gebe es auf dem Talboden noch kein Wasserproblem, fehle das Wasser auf vielen Alpen im Sommer bei langen Hitzeperioden bereits. Gefragt seien Regensammlersysteme, da vom Gletscher gespeiste Quellen versiegten. Diskutiert wurde in der Folge die Nutzungskonflikte von Älplern, Touristen und Touristikern, Politikern und Behörden, der Bevölkerung und Natur- und Landschaftsschützern.
In der «Gruppe Gebirgshydrologie und Massenbewegungen» debattierten die Teilnehmenden über ihre Beobachtungen in verschiedenen Gebieten im Engelbergertal. Sie trugen besorgniserregende Beobachtungen wie Lawinenereignisse, Sedimentansammlungen durch Rutschungen und Bodeninstabilitäten sowie Steinschlag auf Pisten und Wanderwege zusammen. Zudem wurde diskutiert, welche Auswirkungen ein Starkregenereignis in den Hochalpen auf das Engelbergertal und den Hochwasserschutz habe.
Dr. Manfred Stähli vom WSL Birmensdorf, Leiter des Workshops, wies in der Diskussion auf die aktuelle Publikation «sichern Wandern 2040» seines Instituts hin – bei der die möglichen Auswirkungen des Klimawandels auf das Wanderwegwesen als Literatursynthese untersucht werden.
Bei der anschliessenden Präsentation der Ergebnisse und der Diskussion im Plenum wurden nochmals verschiedene Aspekte vertieft. Dabei zeigten sich diverse Teilnehmende überzeugt, dass nur der partizipative Ansatz zum Erfolg führe. Die Wirtschaft, die Wissenschaft, die Politik und die Gesellschaft müssten interdisziplinär zusammenspannen und Lösungen für die drängenden Fragen suchen. Die Gefahrensituationen müssten permanent beobachtet werden (Integrales Gefahrenmanagement).
Alles müsse aber schnell passieren, damit der Jugend ein lebenswerter Raum erhalten bleibe. Oder wie es ein Votant forderte: «Wir müssen aufhören zu diskutieren – wir müssen endlich handeln!»
Zum Abschluss waren alle zum persönlichen Austausch mit den Referenten und Teilnehmenden beim Apéro eingeladen.
Mehr als 30 Interessierte begrüsste der Initiant des Projekts «Klima und Wandel im Gebirge» am 18. September 2020 im Herrenhaus Grafenort. Wiederum engagierten sich Vertreter aus Politik und Wirtschaft, von Behördenseite, aus der Bevölkerung sowie Gymnasiasten des Kollegi Stans in den Diskussionen.
In seinem Referat zeigte der renommierte Gletscherwissenschaftler auf, wie sich die Gletschersituation in der Zentralschweiz präsentiert. Vom Gletscherschwund gingen diverse Naturgefahren aus. Gletscherseen könnten sich entwickeln, die sich unerwartet entleeren, wie dies im Haslital passiert sei. Oder Geröll und Schutt im Gelände werde bei Gewittern ins Tal gespühlt, wie dies in Bondo im Jahr 2017 erfolgte. Auslöser des dortigen Unglücks war eine Eislawine, die sich vom Gletscher des Piz Cengalo löste.
Aus Risiken können sich aber auch Chancen ergeben: So plane die KWO beim Triftgletscher im Gebiet des Sustenpasses einen kleinen Staudamm, mit dem das Wasser des neuen Gletschersees für erneuerbare Energie genutzt werden solle.
Bei allen Projekten sei es wichtig, dass die Planung partizipativ erfolge und dass eine Chancen-Risiken-Matrix erstellt werde. Sämtliche Akteure sollten bereits beim Start darin eingebunden sein, um Projektverzögerungen zu vermeiden und einvernehmliche Lösungen zu erarbeiten.
Die Gletscherschwunde können auf die darunter liegenden Gebiete wie Engelberg, den Stausee Obermatt sowie das Engelbergertal diverse negative Folgen haben. Die Teilnehmenden trugen zahlreiche Ereignisse im Gebiet zusammen, wie neue Gletscherseen mit Auslaufpotential, plötzliche Erdrutsche von Lockermaterial sowie instabile Hänge. Aufgrund langer Hitzeperioden trockneten die Böden aus, was die Brandgefahr erhöhe. Und bei Starkregen werde das Trinkwasser durch Eintrübungen beeinträchtigt. Die Teilnehmenden forderten, dass die Prozessketten in ihrer Gesamtheit zu betrachten seien und man bei der Massnahmenerarbeitung von Worst Case Szenarios ausgehen müsse.
Wie stark das Gebiet im Umkreis von 15 km rund um den Titlis vom Auftauen des Permafrosts betroffen sei, erklärte Dr. Cécile Pellet von der Université Fribourg. Dass der Handlungsbedarf im Wassermanagement ausgewiesen sei, erläuterte die Protokollandin Beatrice Suter. Kritische Situationen bei den Gletschern und Gräben sollten beobachtet werden. Notwendig sei ein zukunftsgerichtetes Handeln aller Interessengruppen. Gemeinsam müssten rasch Projekte umgesetzt werden. Denn nur so könne innert kurzer Frist etwas gegen die Folgen des Klimawandels im Umkreis des Titlis (Radius 15 km) erreicht werden.
Die Resultate der Gruppendiskussion präsentierte die Biologin Yolanda Stocker der Stiftsschule Engelberg zusammen mit Prof. Stähli. Sie sprach über die lange Gefahrenliste die ausgelöst durch Instabilitäten sowohl Lawinen, wie Steinschläge, Rutschungen, Gerölllawinen und Erosionen in diesem Gebiet zur Folge haben werde. Dies beeinträchtige den Lebens- und Arbeitsraum im gesamten Engelbergertal, habe aber auch Auswirkungen im Tourismus, zum Beispiel auf die Pisten und Wanderwege.
In einer kurzen Reflexion auf die Präsentationen hob Dr. Dominik Galliker drei Punkte besonders hervor:
Erstens müssten möglichst alle Interessensvertreter bereits beim Start in den Prozess eingebunden werden.
Zweitens müsse die gesamte Prozesskette in die Überlegungen einbezogen werden.
Und drittens sei es wichtig, dass bei allen Projekten verschiedene Fachrichtungen der Wissenschaft, aber auch die direkt betroffene Bevölkerung, die Politiker, die Behörden, verschiedenste Organisationen und Vertreter der Wirtschaft/Tourismus eingebunden seien (Transdisziplinarität)
Hier finden Sie den Medienbericht zu dieser Vorabendveranstaltung in der Nidwaldner/Obwaldner Zeitung.
Engagieren auch Sie sich beim Projekt «Klima und Wandel im Gebirge» und besuchen Sie eine der kommenden Veranstaltungen und melden Sie sich zu den Workshops an.